Behandlung von Sportverletzungen – 1
Kaum noch Gips – aber mehr Bewegung
Aus: FAZ – 22.Sept.1999
Die wesentlichen Punkte dieses Artikels sind:
1. Sprunggelenksverletzungen werden nur in Ausnahmefällen operativ behandelt
2. Der Erfolg einer Operation hängt entscheidend von der Erfahrung des Operateurs ab. Man sollte sich also nur von einem Spezialisten für die jeweilige Sportverletzung operieren lassen, der täglich damit zu tun hat und nicht aus Bequemlichkeit ins nächstliegende Krankenhaus gehen.
3. Gips ist out! Bewegung beschleunigt die Heilung.
Frühzeitige Physiotherapie bei Sportverletzungen / Weniger chirurgische Eingriffe
Die Behandlung typischer Sportverletzungen, etwa von Bänder- oder Sehnenrissen, hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Weg vom Gips – hin zur Funktion. Mit diesem Motto lässt sich der inzwischen eingetretene Wandel bei der Behandlung solcher Verletzungen am besten charakterisieren. Beanspruchung im vernünftigen Rahmen ist der natürliche Weg zur beschleunigten Heilung, den die Ärzte behutsam bahnen und steuern müssen. Ehrgeizige Sportler profitieren vor allem von diesen Erkenntnissen, sie müssen aber vor gesundheitsgefährdender, zu früher Beanspruchung geschützt werden. Eine an die jeweilige Sportart angepasste Physiotherapie begleitet die Verletzten von Anfang an, besonders intensiv jedoch in der letzten Vorbereitungsphase, die beim Außenbandriss des Fußballers nach etwa sechs Wochen, beim Achillessehnenriss des Tennisspielers nach etwa vier Monaten und beim vorderen Kreuzbandriss des Basketballers nach etwa sechs Monaten erreicht ist.
Der Erfolg der Therapie von Sportverletzungen hängt noch immer entscheidend von der Erfahrung der behandelnden Ärzte ab. Zur Diagnose der wohl häufigsten Bandverletzung – der Außenbänder des Sprunggelenkes – reichen die Schilderung des Unfallgeschehens, eine einfache körperliche Untersuchung sowie eine Röntgenaufnahme aus. Zusätzliche Untersuchungen sind von fraglichem (Sonographie) oder geringem Wert . (Kernspintomographie). Außenbandverletzungen wurden in Deutschland bis zu Beginn der neunziger Jahre fast von allen Ärzten chirurgisch behandelt. Man nahm an, dass durch die Annäherung der Bandenden eine schnellere und vollständigere Heilung zu erzielen wäre. In den angelsächsischen Ländern ist dieser Weg nie beschritten worden. In Deutschland stellte sich durch vergleichende Studien dann ebenfalls heraus, dass sich die Ergebnisse von operativer und herkömmlicher Behandlung nicht unterschieden. Bei weit über 90 Prozent der Patienten führten beide Verfahren zu einem guten Ergebnis. Bei der Operation können aber geringe, nicht zu vernachlässigende Schäden auftreten, etwa Infektionen oder Nervenverletzungen.
Heute ist man sich weitgehend einig, Verletzungen der Außenbänder am Sprunggelenk nach einem Umknicken unabhängig vom Ausmaß der Verletzung und unabhängig von der Anzahl der gerissenen Bänder (es gibt insgesamt drei Außenbänder) lediglich mit Schienen, frühzeitiger Belastung und gezielter Bewegung anzugehen. Operiert werden sollten nur Patienten mit ausgedehnten Blutergüssen oder zusätzlichen knöchernen Verletzungen. Bei Patienten, die schon häufig umgeknickt sind, sollte versucht werden, die Bänder bei einem neuerlichen Unfall operativ zu stabilisieren. Dies kann durch die Naht des Bandes, Wiederanheften des Bandes am Knochen, durch Bandersatz mit körpereigener Knochenhaut oder einer am Sprunggelenk vorbeiziehenden körpereigenen Sehne geschehen. Von Anfang an wird die Rehabilitation mit physikalischen und medikamentösen Mitteln sowie durch Muskeltraining unterstützt. Das Sprunggelenk kann – durch Stützverbände geschützt – nach etwa vier bis sechs Wochen belastet werden.
Wenn sich Arzt oder Patient nicht über das Vorgehen entscheiden können, ist eine Formel hilfreich: Über 90 Prozent der herkömmlichen Behandlungen ohne Operation enden günstig, über 90 Prozent der wegen einer Lockerung oder erneuten Lockerung operierten Sportler sind gut rehabilitiert. Die günstigen Ergebnisse der klassischen Behandlung hängen damit zusammen, dass sich die Bandstümpfe nie sehr weit voneinander entfernen und die zwischen den Bandenden entstehende Narbe später schrumpft. Das zunächst nur locker Zusammengewachsene wird so wieder fest.
Die häufigste und folgenreichste Sportverletzung am Knie ist der Riss des vorderen Kreuzbandes. Dieses Band verhindert die Verschiebung des Schienbeines nach vorne. Es ist besonders bei gestrecktem oder fast gestrecktem Kniegelenk unerlässlich. In dieser Position reißt das Band auch am häufigsten, meist durch Verdrehungen des Körpers gegen den fixierten Fuß, durch schiefe Landungen beim Sprung, durch unvollständig abgefangene oder ungedämpfte Stürze. Der Betroffene verspürt ein plötzliches Nachgeben im Knie, einen knallharten Ruck und einen Schmerz in der Kniekehle. Danach bemerkt er eine unsichere Führung im Kniegelenk, die wiederum Anlass für neue Stürze sein kann. Die Beschwerden können jedoch auch weniger ausgeprägt sein.
Eine Verletzung des vorderen Kreuzbandes kann oft schon durch Beobachtung und Befragung der Patienten erkannt werden. Sicherheit bringt eine einfache körperliche Untersuchung, die unter dem Namen „Lachman-Test“ bekannt wurde. Der Vorteil dieses Testes liegt in seiner Schmerzlosigkeit, auch im akuten Stadium, und in seiner Einfachheit. Er kann auch von Allgemein-Ärzten oder von Physiotherapeuten leicht erlernt werden. Wertung des Unfallgeschehens und körperliche Untersuchung haben zusammen eine derart hohe diagnostische Treffsicherheit, dass die heute bei Knieverletzungen reflexartig angewandte Kernspintomographie allein zur Absicherung der Diagnose einer vorderen Kreuzbandverletzung nicht gerechtfertigt ist.
Nach einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes hängt die Therapie vom Alter ab. Junge Menschen brauchen intakte Kreuzbänder eher als ältere, sportlichere mehr als unsportliche, Fußballer mehr als Radfahrer, Menschen mit allgemein lockeren Bändern mehr als Menschen mit stabilen Gelenkbändern. Wird ein gerissenes vorderes Kreuzband ohne Operation behandelt, kann das Bein sofort belastet werden. Allerdings müssen sich die Patienten einem Trainingsprogramm unterziehen. Wegknicken wegen des fehlenden Kreuzbandes führt zu weiteren Schädigungen, vor allem an Meniskus und Knorpeln. Deshalb sollte dann geprüft werden, ob eine Operation angebracht wäre.
Das operative Vorgehen bei vorderen Kreuzbandverletzungen ist vielfältig. Die Naht eines frisch gerissenen vorderen Kreuzbandes ist nur bei Ausrissen am Knochen sinnvoll. Solche Verletzungen lassen sich nur dann erkennen, wenn frühzeitig -innerhalb der ersten Woche nach der Verletzung – eine Arthroskopie erfolgt. Auch die Kernspintomographie ist heute noch nicht in der Lage, diese Verletzungen zuverlässig herauszufinden. In den meisten Fällen ist für die Wiederherstellung der Stabilität ein Ersatz des Kreuzbandes unerlässlich. Früher verwendete man häufig körperfremde Materialien, etwa Kunstbänder. Diese haben sich nicht bewährt, da fast immer Risse und Entzündungsreaktionen auftraten. Kreuzbänder von Organspendern werden wegen der logistischen Schwierigkeiten sowie wegen des nicht vollständig auszuschließenden Infektionsrisikos nur in geringer Zahl eingesetzt. Am häufigsten wird das vordere Kreuzband gegen körpereigene Sehnen ausgetauscht. Hierfür steht der Begriff „Kreuzbandplastik“. Der Erfolg der Operation hängt stärker von der Präzision der Eingriffe als von der Herkunft des Materials ab. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Kreuzband über einen kleinen Schnitt oder „arthroskopisch“ eingesetzt wird. Im Prinzip sind jeweils gleich lange Hautschnitte erforderlich. Die Ergebnisse hängen ebenfalls mehr von der Erfahrung des Operateurs als vom Verfahren ab.
Achillessehnenverletzungen treffen häufig Sportler zwischen 25 und 50 Jahren, die in der Regel vorher keinerlei Beschwerden hatten. Der Riss ereignet sich bei guter Gesundheit, die Muskulatur ist aufgewärmt. Risse der Achillessehne zu Beginn einer Sportübung oder eines Spiels kommen praktisch nicht vor. Mitten im Spiel oder im Lauf, bei einer nicht als übermäßig zu bezeichnenden Muskelkontraktion der Wade hat der Sportler plötzlich das Gefühl, ihm sei von hinten in den Fuß getreten worden. Die Diagnose ist eindeutig, ein Betasten der Sehne reicht aus. Ultraschalluntersuchungen und kernspintomographische Aufnahmen sind nicht notwendig. Teilrisse, besonders in der Nähe des Wadenmuskels, kommen ebenfalls vor. Normalerweise ist die Region direkt, oberhalb der Ferse im sehnigen Bereich betroffen. Für die Ruptur sind normale altersbedingte Abnutzungen der Sehne sowie eine übermäßige Kontraktion der Wadenmuskulatur verantwortlich. Von einem Unfall ist nur dann auszugehen, wenn ein Stolpern oder Ausrutschen zu Riss der Sehne geführt hat.
Die frühzeitige Operation ist die beste Therapie. Die Sehnenenden werden mit resorbierbarem Nahtmaterial verbunden. Bei der „transkutanen Naht“ erfolgt die Naht abseits der Rissstelle, Verzichtet man auf eine Operation, muss mehrere Wochen -auch nachts – eine Spitzfußstellung eingehalten werden. Bei dem operativen Vorgehen benötigt man nur vorübergehend einen Gipsverband. Die Nähte werden so abgesichert, dass die Sehne von Anfang an bewegt und der Fuß bald belastet werden kann. Dies fördert die Heilung der Sehnenfasern, vermeidet Muskelschwund und Thrombosen.
PETER HERTEL
Der Autor ist Chefarzt der Unfallchirurgischen Klinik des Martin-Luther-Krankenhauses in Berlin.