Abgeschickt von Günter am 21 Mai, 1999 um 01:35:21
Antwort auf: Re: Athletiktest D-Jugend von Martin Steger am 11 Mai, 1999 um 01:34:49:
Der „Athletiktest“ bei der HM der D-Jugend ist erstens keiner und zweitens macht er keinen Sinn.
Jedes Testverfahren muss sich zunächst einmal drei wissenschaftlichen Kriterien stellen, die seine Gültigkeit überprüfen:
a) Objektivität: ist der Test unabhängig vom Tester und von der Testdurchführung?
b) Reliabilität: ist der Test zuverlässig, d.h. führt eine Wiederholung des Tests zu gleichen Ergebnissen?
c) Validität: misst der Test überhaupt das Merkmal, dass er messen soll?
Alle drei Fragen müssen für den „Athletiktest“ mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden.
Objektivität: Wer beim Vorturnier in Lich miterlebt hat, wie unterschiedlich die Spieler und Spielerinnen die Regeln des Tests „auslegten“ (Fuß auf die Linie beim Sprint, Passen aus dem Stand, kein „Schleuderpass“ erlaubt, etc.), und dass die eigenen Coaches zum Zählen und Zeitstoppen eingesetzt wurden (damit’s schneller geht...), wobei sich eine(r) gleich mehrfach zu seinen/ihren Gunsten verzählte, kann diesen Test einfach nicht ernst nehmen, objektiv vergleichbar mit dem Test im anderen Vorturnier ist er schon gar nicht. Was übrigens aus der Ausschreibung nicht hervorging, war die Tatsache, dass der Test vom Vorturnier ins Endturnier mitgenommen wird.
Darüberhinaus werden größere Spieler bei diesem Test klar benachteiligt, obwohl bei Sichtungsmaßnahmen gezielt nach großen Spielern gesucht wird. Macht das einen Sinn? Man muss beispielsweise kein Physikprofessor sein, um zu wissen, dass ein 30 cm größerer Spieler beim Seilspringen ein 60 cm längeres Seil braucht, dass dann pro Umdrehung auch entsprechend länger unterwegs ist. Ähnliches gilt für das Dribbeln und den Linienlauf.
Reliabilität: gerade beim beidhändigen Dribbeln (Ball auf den Fuß gedribbelt und quer durch die Halle gerollt) und beim Seilspringen (mehrfache Hänger aus Nervosität oder weil das Seil zu kurz gehalten wurde) spielt der Zufall eine solche Rolle, dass von Zuverlässigkeit nicht die Rede sein kann. Das zeigt sich schon darin, dass kaum ein Spieler bei seinen beiden Durchgängen im Dribbeln gleiche Zeiten erzielte.
Validität: dieser Punkt ist am gravierendsten. Der durchgeführte Test ist nämlich gar kein Athletiktest, sondern überwiegend ein Koordinationstest. Das Ziel, die Trainer zu stärkerer Arbeit im Athletikbereich zu bewegen, wird damit überhaupt nicht erreicht: Die Coaches fangen mit dem Training für den Test in der Regel erst nach erfolgreicher Qualifikation für das Vorturnier an. Da in dieser Zeit auch noch die Osterferien liegen, bleiben maximal ca. 4-6 Wochen für die Vorbereitung. In diesem Zeitraum lässt sich bei D-Jugendlichen weder die Kraft (dazu fehlen noch die hormonellen Voraussetzungen, die sich erst mit Beginn der Pubertät einstellen) noch die Schnelligkeit (diese ist in hohem Maß durch den Typus der Muskulatur genetisch vorbestimmt und kann nur über extrem hohe Trainingsumfänge verbessert werden, da im Schnelligkeitstraining vollständige Pausen notwendig sind) nennenswert verbessert werden. Das ist seit langem wissenschaftlich nachgewiesen. Nur im Bereich Ausdauer ließe sich etwas machen, diese wird jedoch nicht getestet, und hat im D-Jugendbereich auch nicht Priorität.
Verbesserungen, die im Verlauf des Trainings für den Test dennoch ganz offensichtlich zu erreichen sind, liegen ausschließlich im technisch-koordinativen Bereich: beim Liniensprint verbessert sich die Wendetechnik, beim Passen wird die Flugkurve optimiert, beim Weitsprung verbessern sich Anschwung und Landetechnik. Die beiden anderen Übungen enthalten keinerlei athletische Elemente, es sei denn man setzt Athletik mit Kondition gleich, zu der dann natürlich auch die Koordination gehört. Aber im koordinativen Bereich arbeiten wir im Basketballtraining ja ohnehin ständig, wenn auch vorwiegend basketballspezifisch.
Mal ganz abgesehen davon, gibt es den Begriff „Athletik“ in der Trainingslehre überhaupt nicht (außer als Begriff für das griechische Wettkampfwesen), der „Athletiker“ ist lediglich als Form des Körperbautyps definiert. Zitat: „Der Athletiker ist mehr grobmotorisch als feinmotorisch begabt“ (Jonath, Lexikon der Trainingslehre). Na wunderbar!
Alle Übungen dieses Tests haben natürlich ihre Berechtigung im Jugendtraining, eine halbwegs einleuchtende Begründung, warum gerade diese 5 Übungen 50% eines Basketballwettkampfs ausmachen sollen, habe ich bisher allerdings nicht finden können.
Zu einem Zeitpunkt, da die Basketballwelt langsam begriffen hat, was mein Vater mir schon vor mehr als 20 Jahren mit auf das Spielfeld gab, nämlich dass Basketball ein Spiel ist, das man vor allem mit dem Kopf gewinnt, machen wir in Hessen „Athletiktests“ und glauben, dadurch bekämen wir bessere Basketballer. Vielleicht solche wie das kleine Mädchen, dass im Seilspringen weit über 200 Schläge pro Minute schaffte, und dann im anschließenden Spiel gar nicht zum Einsatz kam?!
Natürlich ist es unbedingt notwendig, schon im Grundschulalter für eine umfassende allgemeine sportmotorische Grundausbildung zu sorgen und Kinder nicht schon mit 6 Jahren zu Basketballfachidioten zu machen. Mit dem aktuellen Athletiktest ist diese Zielsetzung jedoch nicht zu realisieren, weil er die Trainer nur zu kurzfristigem Übungsaufwand und nicht zu langfristiger Einsicht bewegt. Um tatsächlich in den „athletischen“ Bereichen echte Fortschritte zu erzielen, in denen unsere Jugendlichen Defizite zeigen, nämlich Schnelligkeit und Kraft, letztere vor allem im Rumpf- und Oberkörperbereich, muss man langfristig, kontinuierlich und behutsam mit ihnen arbeiten. Dass eine solche Arbeit im Rahmen eines zweimal wöchentlichen Trainings überhaupt einigermaßen erfolgversprechend möglich ist, ohne dass dabei die basketballerischen Belange auf Dauer zu kurz kommen, ist schlicht eine Utopie!
Wirklich effektiv arbeitet man nur mit gesondertem Training, beispielsweise auch durch zusätzlichen Sport in Leichtathletik-, Selbstverteidigungs- oder Turngruppen. Allerdings darf man auch nicht vergessen, das falsches Training (wie z.B. im Leistungsturnen) in diesem Alter irreparable Schäden verursachen kann.
Meine aktuelle D-Jugend ist das beste Beispiel für die verfehlte Zielrichtung des Tests: 7 Spieler der Mannschaft nahmen seit der 2. Klasse bei mir an einer Talentaufbaugruppe (TAG) teil, in der sie zwei Jahre lang eine allgemeine sportliche Grundausbildung mit Turnen, Leichtathletik und kleinen Spielen durchliefen. Erst in der 4. Klasse kam Basketball dazu. Im darauffolgenden Jahr nahmen sie erstmals an Rundenspielen teil, und jetzt wurden sie in ihrer erst zweiten Saison Vize-Hessenmeister, obwohl sie im „Athletiktest“ Letzter waren und der beste Spieler im Endturnier fehlte.
Der Erfolg der Mannschaft basiert ganz wesentlich auf der hervorragenden physischen Fitness der Spieler, deren Grundlage schon in der TAG gelegt wurde. Wenn also Spieler, die seit nunmehr 5 Jahren nach genau dem Konzept trainieren, das den Erfindern des Tests vorschwebte, in diesem Test so schlecht abschneiden, liegt die Vermutung nahe, dass an dem Test etwas faul ist, denn eine „athletisch“ fitte Mannschaft muss in einem „Athletiktest“ auch ohne gesondertes Üben gut abschneiden. Die Ursache für das schlechte Testergebnis ist ganz banal: wegen eines Schüleraustauschs war ich die letzten zwei Wochen vor dem Vorturnier abwesend, und meine Jungs haben in der Zwischenzeit im Training lieber gespielt! Verloren wurde der Test im Seilspringen und beim beidhändigen Dribbling, was auschließlich auf das Übungsdefizit zurückzuführen ist. Mangelnde „Athletik“, was immer das auch ist, spielte dabei mit Sicherheit keine Rolle.